Wer idyllische Stille sucht, ist im spätsommerlichen Weinberg an der falschen Adresse. Es saust, jagt, flattert und brummt an jeder Ecke – eine Geräuschkulisse, als würden tausend kleine Helikopter starten. Die Rede ist von Wespen – für sie sind die reifen Winterthurer Trauben ein gefundenes Fressen.
Das Phänomen ist das gleiche, wie man es vom herbstlichen Frühstückstisch kennt. Wespen umschwärmen Aufschnitt, Käse und Konfitüre. Bis dann eine mit einem riesigen Stück abgebissener Salami vom Tellerrand abhebt. Wie kann denn ein so kleines Insekt «gopferdammi-nomal» so viel fressen? Im Weinberg nennt man das auch Wespenfrass.
Wespen mit Appetit können erhebliche Löcher in Trauben reissen.
Und die Wespen nimmersatt sind tatsächlich noch eines der kleinsten Schädlingsprobleme für die Winzer:innen. Unliebsame Kirschessigfliegen, echter Mehltau, falscher Mehltau – sie alle machen den Winzern Jahr für Jahr die Ernte streitig.
Genauso vielfältig wie die Schädlinge ist auch deren Bekämpfung. Von Fungiziden über Herbizide bis hin zu Schwefel oder Kupfer – an Optionen für die chemische Bekämpfung mangelt es nicht. Der Haken: Pestizide und ihre Rückstände werden oft mit den Trauben mit geerntet - und landen bei uns im Weinglas.
Im August sind Pestizidrückstände auf den Trauben zu sehen.
Dass Pestizide in unseren Lebensmitteln stecken, ist nichts Neues. Bei nahezu allen landwirtschaftlichen Produkten wurde irgendwann mal ein Rückstand eines Schädlingsbekämpfungsmittels gefunden. So eben auch im Schweizer Wein: Der Kassensturz hat 2020 fünfzehn Schweizer Weine auf Pestizidrückstände getestet. In jedem zweiten wurden sie nachgewiesen, in einigen Weinen sogar bis zu neun verschiedene.
Weiter hat das Kantonslabor Zürich 2024 das Pestizid «Dimethoat» in 34-Facher Menge des erlaubten Grenzwertes auf geernteten Weintrauben gefunden. Dimethoat steht im Verdacht, für den Menschen gesundheitsschädlich zu sein und ist für Bestäuber wie Bienen bereits in kleinen Mengen tödlich. Trotzdem kann man das Mittel bequem im Internet kaufen.
Jüngst gab auch die PARVAL-Studie aus dem Wallis zu reden. 206 Schulkindern, die Rund um Rebberge wohnen, wurden im Alltag Armbänder umgelegt, die deren Pestizidbelastung messen sollten. Im Schnitt waren die Kinder 14 verschiedenen Pestiziden ausgesetzt – darunter auch sechs Verbotenen.
Rebentrost sieht konventionelle Pestizide kritisch, besonders weil sie so vielschichtige Auswirkungen haben: «Der Anwender ist betroffen, alle Gewässer sind betroffen und der Boden ist betroffen.» Das wirft Fragen auf. Wieso greift man im konventionellen Weinbau denn überhaupt zu so vielen Pestiziden? Und sind sie tatsächlich so unverzichtbar?
Mit Anfang 20 ist Rebentrost mit ihrer besten Freundin in die Türkei ausgewandert. Zunächst legten sich die beiden Pferde, Schafe und Hunde zu. Später wurden ihnen Reben gratis zur Verfügung gestellt, wenn sie sie nur pflegten. So begann Rebentrosts Önologinnen-Karriere.
Dann kam eines Tages ein Schweizer auf einem Motorrad vorbei. Die Liebe und ein Weinbau-Studium zogen die gebürtige Bayerin in die Schweiz, wo sie nach einigen Stationen 17 Jahre lang im Schloss Bachtobel im Thurgau arbeitete.
Heute studiert Rebentrost Umweltingenieur-Wissenschaften und Ökologie. Sie wollte sich nach über 20 Jahren "nochmal verändern", wie sie selbst sagt.
Rebentrost arbeitet gerne sowohl geistig als auch körperlich. Dafür bietet die Arbeit im Weinberg für sie die perfekte Mischung. In und mit der Natur fühlt sie sich wohl.
Im Keller fasziniert sie alles, was zur Wein-Chemie dazugehört. Das ist ein ganzes Stück, habe ich mir sagen lassen.
Am Ende entsteht durch die Arbeit im Weinberg ein spannendes, langlebiges Produkt, welches man in geselliger Runde trinken kann und auch mal zu viel davon erwischen kann. Damit schliesst Rebentrost lachend.
Der Anwender ist betroffen, alle Gewässer sind betroffen und der Boden ist betroffen.
Ines Rebentrost, Önologin
Ja, sie heisst wirklich Rebentrost. Nein, sie kommt nicht aus einer Weinbauernfamillie.
Jetzt im Spätsommer muss die Ernte besonders vor der sogenannten Kirschessigfliege geschützt werden. Sie durchsticht die feine Traubenhaut mit ihrem Stachel und legt so ihre Eier in die fast reifen Früchte.
Und sie freut sich natürlich, wenn gefrässige Wespen die Traubenhaut bereits weggeschafft haben. So kann sie ihre Eier noch leichter ablegen. Betroffene Trauben werden sauer und ungeniessbar. Die Winzerin muss sie bei der Wümmet mühsam herauslesen - oder eben schon vorher mit chemischen Insektiziden gegen sie vorgehen.
Das grösste und hartnäckigste Problem sind jedoch Pilzkrankheiten. Die beiden Übeltäter, der falsche und der echte Mehltau, bereiten schon früh im Jahr Schwierigkeiten. Dem falschen Mehltau müssen Weinbauer:innen bereits im Mai, wenn den Reben die ersten Blätter wachsen, mit Fungiziden vorbeugen. Ab der Blütezeit ist die Rebe dann nicht mehr so angreifbar für diesen Pilz, doch der hitzeliebende echte Mehltau löst den falschen fast nahtlos ab.
Chemische Mittel werden im Weinbau also während der ganzen Wachstumsphase angewandt. Den Weinberg ganz ohne Pestizide durch die Schädlingszeit zu bringen, das sei laut Weinexpertin für die meisten Betriebe wirtschaftlich nicht tragbar. Man riskiere Totalausfälle.
Und sowieso wird es immer schwieriger, den Schädlingen effektiv entgegenzuwirken. Der Klimawandel hat da nämlich auch noch seine unsichtbaren Finger im Spiel.
Hitze – Hagel – Kälteeinbruch: Mit dem Klimawandel nehmen auch Extremwetterlagen zu. Was uns im Alltag die Kleiderwahl erschwert, setzt der Landwirtschaft als Ganzes enorm zu – so eben auch den Weinbauer:innen.
Je nach Wetterlage wird im Rebberg ein anderer Pilz begünstigt, gegen den dann intensiver gespritzt werden muss. Ausserdem schmecke man Extremwetterlagen im Wein, Klimawandel macht den Wein laut Rebentrost tendenziell süsser und hochprozentiger.
«Es ist entweder ein grauslich nasses Jahr und du hast Probleme, gesunde Trauben in den Keller zu bekommen. Oder du hast so viel Hitze, dass du schon Bedenken hast, oh mein Gott, der Alkohol, viel zu viel Zucker.» sagt Rebentrost.
Es ist entweder ein grauslich nasses Jahr und du hast Probleme, gesunde Trauben in den Keller zu bekommen. Oder du hast so viel Hitze, dass du schon Bedenken hast, oh mein Gott, der Alkohol, viel zu viel Zucker.
Ines Rebentrost, Önologin
Rebentrost sagt ja. «Ich persönlich fände es natürlich toll, wenn Bio der Standard wäre (…) und bin auch überzeugt, dass das klappen kann.»
Ich persönlich fände es natürlich toll, wenn Bio der Standard wäre (…) und bin auch überzeugt, dass das klappen kann.
Ines Rebentrost, Önologin
Am besten wäre laut Rebentrost sehr wenig Pestizid. Dann würden die Reben auch langfristig resistenter werden. Doch bis man solche resistenten Reben hätte, müsste man jahrelang Ernteausfälle riskieren, was wiederum wirtschaftlich für viele Schweizer Weinbetriebe nicht hinhaut.
Einen ähnlichen Haken haben die sogenannten PIWIS. Das sind pilzwiderstandsfähige Rebsorten, die gar keine Pestizide benötigen. Ertragreiche Rebberge haben einen Lebenszyklus von etwa 30 Jahren. Bis man einen Rebberg mit PIWIS erneuern könnte, kann es je nach Alter der aktuellen Pflanzen noch Jahre dauern. Ausserdem kämen die PIWIS laut Rebentrost nicht an den Geschmack traditioneller Weinsorten heran.
Und dann wäre da noch das Problem mit der Weinbauer-Ausbildung. Bis dato existiert kein eigenes Schulfach, wo man den Bio-Weinbau lernen könnte. Das bedeutet für Weinbauern, dass sie sich das Wissen selbst aneignen müssten. Dazu seien viele nicht bereit: «entweder sind sie einfach nicht sensibilisiert, oder es ist ihnen halt scheissegal» sagt Rebentrost. Gerade die ältere Generation habe laut Rebentrost kein Interesse am Austausch zum Thema oder an neuen Wegen.
Diese Interessenlosigkeit am Bio-Rebberg hängt laut Rebentrost auch mit Subventionen des Bundes zusammen. Kaum ein landwirtschaftlicher Sektor ist so stark durch Direktzahlungen unterstützt wie der Weinbau.
Das mache bequem. «Weinbauern schaffen es immer wieder, im Bundeshaus zu jammern», sagt Rebentrost. «Der aktuelle Umwelt-Bundesrat (Albert Rösti, SVP) ist auch nicht so ökologisch drauf, wie ich mir das wünschen würde». Und das, so Rebentrost, bringe den Bio-Weinbau auch nicht weiter.
Wie also kann es gelingen, dass Schweizer Wein in Zukunft ökologischer werden könnte? Rebentrost schlägt eine Re-Subventionierung vor. «Eigeninitiative und frische Ideen von Winzern sollten mehr mit Subventionen belohnt werden, als einfach den Status quo zu erhalten und so weiterzumachen, wie bisher.»
Eigeninitiative und frische Ideen von Winzern sollten mehr belohnt werden, als einfach den Status quo zu erhalten und so weiterzumachen, wie bisher.
Ines Rebentrost, Önologin
Ob der Bio-Weinbau an Bedeutung gewinnt, entscheidet sich also nicht nur im Weinberg – sondern eben auch im Bundeshaus.